Übersicht der Haupt-Wirkungs-Sphäre
der Antipsorischen Arzneien

Vorrede

Dr. jur. Clemens von Bönninghausen, 1832

Die günstige Aufnahme, welche mein Repertorium der antipsorischen Arzneien gefunden hat, macht es mir um so mehr zur Pflicht, den zahlreichen Anhängern der homöopathischen Heillehre gegenwärtige kleine Arbeit zugänglich zu machen, als sie eigentlich nur wie ein zweiter Teil von jenem anzusehen, und zur sichern Wahl des passenden Heilmittels, zumal für Anfänger, von nicht geringem Nutzen sein dürfte.

Es wurde nämlich schon in der Vorerinnerung zu jenem Werkchen (Seite XI.) ausdrücklich erwähnt, dass man beständige Sorge tragen müsse, sich zu überzeugen, dass nichts Widersprechendes in der Wirkungs-Sphäre der gewählten Arznei vorwalte.
Dieses ist indessen in der Tat oft nicht so leicht, als es scheint, und ganz in entgegengesetzter Weise hört man nicht selten Neulinge und Unkundige Klage darüber führen, dass die Symptomen-Reihe fast jedes Heilmittels Materialien zu einem Krankheits-Bilde liefere, welches dem vorliegenden Krankheits-Falle in Ähnlichkeit entspreche.

Eine solche Behauptung ist jedoch nichts weniger als gegründet, und zeugt nur von Mangel an Einsicht oder irrigem Begriffe von dem Ähnlichen. Zwar finden sich unter den Wirkungen mehrer antipsorischen Arzneien vielfältig gemeinsame Symptome, welche auf ihre Anwendbarkeit in sehr vielen (jedoch unter sich höchst unähnlichen) chronischen Krankheiten desselben Kollektiv-Namens (deren eine große Menge in S. Hahnemanns trefflichen Werke darüber Bd. I. S. 138. aufgezählt ist), hindeuten; aber jede von ihnen besitzt ihre sehr bestimmten Eigentümlichkeiten, und man findet nicht zwei darunter, welche sich in dieser Beziehung völlig gleich ständen, und dies selbst an der Holz- und Tier-Kohle, am Phosphor und der Phosphor-Säure zu sehen ist.

Deshalb kann auch jedesmal nur Eine unter ihnen die passendste, mithin die hilfreichste sein, eine Wahrheit, welche nicht nur im Wesen der Sache liegt, sondern außerdem durch tausendfältige Erfahrung erwiesen ist, und noch täglich bei allen homöopathischen Heilungen erwiesen wird.

Es ist daher von der größten Wichtigkeit für jeden Arzt, der mit Sicherheit homöopathisch heilen und häufige Missgriffe in der Wahl der hilfreichen Arznei vermeiden will, mit den charakteristischen Eigentümlichkeiten derselben, die hierbei hauptsächlich zum Leitfaden dienen müssen, genau bekannt zu sein. Selbst dem geübteren Homöopathen kommen nicht selten Fälle vor, wo ihm Zweifel und Bedenken aufstoßen, die er nur durch die sorgfältigste Vergleichung der Gemüts- und Körpersymptome, welche die zur Wahl stehenden Heilmittel an gesunden Menschen zu erzeugen die Kraft und die Neigung besitzen, zu lösen vermag, und wobei oftmals ein sehr geringfügig scheinender Unterschied den Ausschlag gibt. Denn nur da allein kann man des erwünschten Erfolges sicher sein, wo Alles genau passend befunden wird, so wie es sich fast überall nachweisen lässt, dass es hieran mangelte, wenn die gereichte Arznei, auch in der allerkleinsten Gabe, gar keine oder nur unzureichende Hilfskraft zeigte, sobald nur nicht entweder das Mittel ehedem gemissbraucht oder die Reaktions-Kraft des Körpers erloschen war.

Diese aus der Erfahrung geschöpfte Überzeugung und die Schwierigkeit, in den Quellen selbst schnelle Auskunft zu finden, veranlassten mich sehr bald, meinem ursprünglichen Repertorium eine Übersicht der Haupt-Wirkungs-Sphäre und der charakteristischen Eigentümlichkeiten der antipsorischen Arzneien beizufügen, um durch Vergleichung derselben, sobald die Wahl bis auf einige wenige beschränkt war, mit Leichtigkeit und geringem Zeit-Aufwande das Passendste erkennen, und in einer so wichtigen Sache, als die Gesundheit der Menschen ist, mit der erforderlichen Sicherheit verfahren zu können.

Diese Übersicht hat mir sehr wesentliche Vorteile und Erleichterungen gewährt, und ihr hauptsächlich muss ich es zuschreiben, dass ich schon von Beginne an in den Erfolgen meistens glücklich war.

Daher bedauerten es auch meine nächsten Freunde, dass eine solche gedrängte Zusammenstellung, deren auch sie sich fortwährend mit dem größten Nutzen bedient hatten, bei dem Repertorium fehle, ließen eine Abschrift davon demselben beiheften, und forderten mich zu wiederholten Malen auf, sie ebenfalls durch den Druck gemeinnütziger zu machen. - Ich stehe nicht an, dieser Aufforderung zu genügen, indem ich nach beifälliger Zustimmung unseres würdigen Hofraths Hahnemann wohl nicht mehr befürchten darf, die homöopathische Literatur mit einem ganz unnützen Buche zu vermehren.

Die ersten Linien zu dieser Arbeit wurden, wie natürlich, aus den Vorreden unsers Hahnemann entnommen, denen nach und nach dasjenige hinzugefügt wurde, was sich ferner als zuverlässig bei der Praxis herausstellte.
Es sind mithin fast durchgängig Ergebnisse fremder und eigener sorgfältiger Erfahrung. Nur da, wo sich sonst etwas ganz Eigentümliches, Charakteristisches, bei anderen Arzneien bisher nur selten oder gar nicht Beobachtetes vorfand, glaubte ich auch dieses dem Zwecke gemäß aufnehmen zu müssen, sobald nur die Richtigkeit keinem Zweifel unterlag. Auf solche Weise ist allmählig die vorliegende Sammlung charakteristischer Eigentümlichkeiten der antipsorischen Heilmittel entstanden, welche nun, wenigstens bei den meisten derselben, ein ziemlich klares und leichte zu überschauendes Bild von ihrer besonderen und hauptsächlichen Wirkungs-Sphäre darstellt.

Damit die Symptomen-Menge nicht gar zu zahlreich und eben dadurch die Übersicht gar zu sehr erschwert würde, musste Alles unterdrückt werden, was irgend für diesen Zweck hier überflüssig schien, oder schon an einem andern Orte leicht zu finden war.
Letzteres war insbesondere der Fall in Betreff der Erhöhung oder Linderung der Beschwerden überhaupt nach Tageszeit, Lage und äußeren Umständen, worüber die Abteilung des Repertoriums: Gemeinsame Beschwerden, genügenden Auskunft gibt. Ich hielt daher eine Wiederholung dessen, was dort darüber gesagt ist, hier umso mehr für unnötig, da beide Werkchen am füglichsten zusammen zu brauchen sind, und habe mich demnach bloß darauf beschränkt, solche einzelne hierher gehörige Symptome aufzunehmen, welche in dieser Beziehung sich ganz bestimmt aussprechen, und der Vollständigkeit wegen nicht übergangen werden durften.

Bei Arbeiten solcher Art und zu solchen Zwecken kann man eben so leicht zu viel als zu wenig tun. Nicht selten klagt der Eine über ermüdende Weitläufigkeit, während der andere die übertriebene Kürze rügt.
Jedem völlig zu genügen, dürfte wohl zu den Unmöglichkeiten zu zählen sein. Dieses bitte ich besonders bei der Beurteilung des vorliegenden Schriftchens nicht ganz außer Acht zu lassen, welche übrigens umso dringender aus der Feder eines erfahrenen Homöopathen gewünscht wird, als eben dadurch nur ein neuer Zuwachs zuverlässiger Tatsachen und Beobachtungen zu erwarten ist, die allein die junge Wissenschaft ihrer Reife näher bringen können.
Um jedoch sowohl dem Einen als dem Andern, so viel möglich war, Genüge zu tun, wurde dasjenige, was einer besonderen Auszeichnung wert schien, üblicher Weise mit gesperrten Lettern gedruckt.

Möge nur der gute Zweck nicht verkannt werden, und das Werkchen selbst dazu beitragen, dem Anfänger die richtige Anwendung dieser unschätzbaren Heilmittel zum Wohle der Menschheit zu erleichtern.

Münster, Dez. 1832, C. v. Bönninghausen

Quelle: Dr. jur. Clemens von Bönninghausen, "Übersicht der Haupt-Wirkungs-Sphäre der Antipsorischen Arzneien so wie der Antisyphilitischen und Antisykotischen", 1833

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